Bücher > Die Geheimschreiberin
Die Geheimschreiberin
1206: Verrat an der Rur
Kapitel 1
Gebrandmarkt
18. Mai 1198 auf Burg Heinsberg
Ihre Haut bekam durch das sanft gefilterte Licht der Butzenscheiben die Farbe von Olivenholz. Sie saß auf dem Mann wie ein Reiter auf seinem selbst gezähmten Ross. Ein Reiter, der sich dies nur zu gerne gefallen ließ. Zähmen und Gezähmtwerden war das Spiel, das beide liebten. Goswin von Heinsberg scherte sich nicht um Zeit, Raum und um die Tatsache, dass es sich bei Gepa, wie man die Frau mit dem komplizierten byzantinischen Namen der Einfachheit halber nannte, um die Dienerin seiner Gattin handelte.
Jutta, die Tochter des Herzogs vom Limburg, war ihm eine vorbildliche Gemahlin. Treu versorgte sie Kinder und Heim, glänzte auf den Festen der Fürsten, zu der man ihn wegen der Familie Juttas einlud, und sie nahm durch ihr angenehmes Wesen jedermann für sich ein.
Leider war sie keine aufregende Frau. Außerdem verbrachte sie die Stunden der Nacht lieber im Gebet zur Jungfrau Maria als in seinem Bett. Als er dem Ruf seines Schwiegervaters folgte, ihn ins Heilige Land zu begleiten, hoffte er, dass sich nach seiner Rückkehr manches ändern würde, dass die vorübergehende Trennung der damals schon fast erloschenen Glut neue Flammen auflodern lassen würde. Aber dem war nicht so. Das Geschenk des Vaters, die Sklavin Gepa, erfreute Juttas Herz mehr als seine gesunde Heimkehr. Schon nach wenigen Wochen verbrachte sie ihre knapp bemessenen Mußestunden erneut lieber in der Kapelle der Burg als in seinen Armen.
Übersah sie all die Mädchen geflissentlich, die sich länger als notwendig in seinem Gemach aufhielten oder bekam sie wirklich nichts mit?, fragte er sich manchmal. Egal, zumindest jetzt! Gepa war hier, die Fensterscheiben tauchten den Raum in das ideale Licht für ein Liebesspiel, und die Dienerin mit der Olivenhaut der Orientalinnen schenkte ihm ihren herrlichen Körper und genoss offensichtlich den seinen. Habenwollen und Bekommen pur - sonst nichts.
"Es ist ein wunderbarer Morgen, Herrin. Warum legst du nicht den Stickrahmen aus der Hand und gönnst dir ein wenig Muße? Lass den Falkner kommen oder den Sänger Eddo. In wenigen Tagen sind die Gäste wieder auf Burg Rode, dann bist du allein mit den Kindern und der Arbeit", ermunterte die alte Berta ihre Herrin, es mit den häuslichen Pflichten nicht so genau zu nehmen. "Die Herren mögen lachende Gesichter und heiteres Plaudern, das sie ihre eigenen Sorgen vergessen lässt."
Jutta von Heinsberg lächelte gequält. Sie war sich ihrer Schwächen und Fehler durchaus bewusst. Sie konnte bestenfalls als herbe, natürliche Schönheit bezeichnet werden. Mit den Damen am Hofe ihres Vaters oder gar des Herrschers musste sie jedweden Vergleich scheuen. Zwar respektierte man ihren Verstand und ihre Weitsicht, lobte zudem ihre Mildtätigkeit und Frömmigkeit, aber wenn zum Tanz aufgespielt wurde oder zu fröhlichem Beisammensein eingeladen, war sie stets nur der vierzehnte Gast. Dies konnte schnell zu einer gefährlichen Position werden, der Position einer Überflüssigen. Aber nur der alten Berta verzieh sie solche direkten Worte und Ermahnungen.
"Es ist nicht immer leicht, ein heiteres Gesicht zu machen, wenn einem nach Sorgenfalten und Kummer zumute ist", seufzte sie leise.
Berta erhob sich von dem Scherenstuhl, auf dem sie ihrer Herrin gegenüber Platz genommen hatte, ging zum Fenster der Kemenate und verschloss es sorgfältig. Sie durchmaß den Raum mit wenigen Schritten, öffnete leise die Tür, steckte den Kopf heraus und zog ihn gleich wieder zurück. Der Hoffnung, dass Frau Jutta nichts von den Geräuschen mitbekommen hatte, die aus dem Nebenzimmer auf den Flur gedrungen waren, gab sie sich nicht hin. Die Fürstentochter mochte Augen und Ohren verschließen, bildlich gesprochen. Blind und taub war sie deshalb nicht, aber nach Meinung der alten Dienerin zu schweigsam, zu untätig und viel zu duldsam. Berta ging zurück zu ihrem Stuhl, schob das eigene Nähzeug beiseite und sah ihre Herrin prüfend an.
"Manches ist leicht, Jutta von Heinsberg, wenn man die Herrin ist und gebieten kann. Denke öfter daran, als immer nur schweigend das Übel hinzunehmen und gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Kein Mensch ist unersetzlich, mein Kind. Das gilt für jede Frau. Bedenke dies, ehe dein Gemahl sich ähnlichen Überlegungen hingibt und dich in ein Kloster abschiebt. Gott und die Gesetze der Menschen haben zwar den Mann über die Frau gesetzt, aber nicht die Dienerin über die Herrin. Bedenke dies und sei klug."
Jutta von Heinsberg schaute in die Augen ihrer Amme. Die Alte hielt dem Blick stand und zwang so der Jüngeren ein kleines Duell auf. Berta gewann, wie so manches Mal. Und wie so manches Mal ballte Jutta ihre Hände zu Fäusten, heimlich unter der Tischplatte. Aber sie kapitulierte nicht, schluckte nichts mehr hinunter. Der Stickrahmen landete in einer Ecke der Kemenate, Garn und Schere wurden achtlos in den Nähkorb geworfen.
"Du hast vollkommen recht, Berta, wie immer. Ich muss etwas unternehmen. Aber zuerst schicke nach dem Barden Eddo. Ich möchte Lautenspiel und Gesang hören, wenn ich in der Bibel über Abram, Sarai und Hagar nachlese, um einen klaren Kopf zu bekommen."
"Suchst du Trost im Wort Gottes?", fragte Berta, enttäuscht, dass ihre Herrin so schnell den frisch gewonnenen Kampfgeist wieder verloren zu haben schien. Aber dem war nicht so.
Jutta von Heinsberg lachte. "Nein, Liebe! Ich suche nicht Trost, ich suche Rat. In meinem Fall ist dies etwas ganz anderes."
Hoffst du, ihn bald zu finden?", schmunzelte die alte Dienerin.
"Durchaus. Aber jetzt lauf schnell und schicke den Sänger zu mir. Noch vor dem Mittagsmahl will ich wissen, was ich tun kann."
Der Minnesänger spielte eine einfache ruhige Melodie, die mehr dazu geeignet war, das Gemüt eines Zuhörers zu beruhigen als ihn zu kriegerischen Taten oder unüberlegten Handlungen anzustacheln.
Interessieren Sie sich für mittelalterliche Verschlüsselungstechniken? Hier finden Sie einen kleinen Exkurs über die wichtigste Codierungsmethode des Hochmittelalters.